Hallo Olaf,
ob es irgendwo gesammelt dokumentiert ist, weiß ich nicht. Bei mir ist es letztlich "nur" die Summe vieler zeitlich weit auseinander liegender Einzeleindrücke (u.a. als regelmäßiger c't-Leser), die zu dem von Dir zitierten Fazit geführt hat. Natürlich habe ich mir nicht jeden einzelnen gemerkt; ich könnte jetzt spontan nur einige markante Beispiele bringen:
- MS-DOS war nicht von Microsoft entwickelt, sondern von einer unbedeutenden Firma ("qdos") sehr billig eingekauft worden. Was blieb einem in letzter Minute auch anderes übrig, man konnte ja schließlich nicht voraussehen, dass IBM für seinen lange angekündigten und weltweit mit Spannung erwarteten "Industriestandard"-PC auch ein Betriebssystem brauchen würde...
- Alles, was so nach und nach an guten Ideen in MS-DOS einfloss, stammte ursprünglich von Norton und anderen unabhängigen Herstellern, die mit pfiffigen Tools jene Funktionalität beisteuerten, die MS-DOS vermissen ließ, obwohl sie jeder brauchte. M$ arbeitete immer nach gleichem Muster: Gute Fremd-Ideen wurden abgekupfert oder "nachepfunden", manchmal natürlich auch mit roher Finanzgewalt eingekauft. Indem man möglichst viel von den guten Ideen übernahm und zum Teil des Betriebssystems machte, wurden die externen Tools der Ideengeber überflüssig und versanken in der Bedeutungslosigkeit. Microsoft hat sehr oft den Trend verpennt, andere hatten die guten Ideen, aber trotzdem hat M$ damit das meiste Geld gemacht.
- Wer erinnert sich noch an 'dblspace' ? Ein DOS-Treiber, der durch transparente Kompression die Festplattenkapazität nahezu verdoppeln konnte. Damals eine geniale Sache, angeblich erfunden von Microsoft. Später wurde nachgewiesen, dass die Kompressionsalgorithmen - also das, was am meisten Gehirnschmalz kostet - praktisch 1:1 aus geklautem Code einer kleinen Fremdfirma bestanden. Microsoft wurde gerichtlich gezwungen, diesen Weg zu verlassen. Ab da hieß der Treiber plötzlich von einem Tag auf den anderen 'drvspace', machte aber genau das gleiche, und war nun abgeblich wirklich von M$. Es ging weiter als wäre nichts gewesen. Man fragt sich nur, wo der so schnell herkam. Sicherlich war er nicht von Null an neu entwickelt worden, vermutlich wurde mehr Energie in "Tarnung" als in originale Entwicklung gesteckt...
- Grafische Oberflächen, Mausbedienung usw. sind nicht bei Microsoft "erfunden" worden, sondern meines Wissens bei Xerox - und das zu einer Zeit, als es Microsoft noch gar nicht gab. Auch Apple und Digital Research ("GEM") waren sehr viel früher und längst ausgreift, als Microsoft mit viel Trara ein dilettantisches DOS-Plugin namens "Windows" vorstellte, das noch nicht einmal den Namen verdiente, weil richtige, d.h. überlappende Fenster damit noch auf lange Sicht gar nicht möglich waren. Trotzdem wieder mal: erst die Entwicklung verpennt, später die Ideengeber in Nischen abgedrängt und selber das meiste Geld damit gemacht.
- Man könnte auch das Internet erwähnen: In der ersten Hälfte oder gegen Mitte der 90er etwa muss es gewesen sein, da hatten andere längst dessen Potenzial für den breiten Markt erkannt - aber Microsoft, visionslos wie fast immer, tat es als "nutzlosen Spielkram" ab und träumte weiterhin nicht etwa vom globalen Dorf, sondern von der totalen Beherrschung des Desktop (man bedenke: alle Windows-Versionen vor Win95 waren von Haus aus nicht internetfähig! Unixe konnten das schon in den 70ern).
- Als man bei M$ dann doch endlich aufwachte, wiederholte sich das Strickmuster beim "Browser-Krieg": Führend sowohl nach Qualität als auch Marktanteil war lange Zeit Netscape. Während dort echte Innovationen erdacht wurden (z.B. Javascript, Layers usw....), konnte Microsoft nur hinterherhecheln. Gute Ideen wurden fast ausschließlich von anderen übernommen; für Sicherheit, Stabilität und Benutzerfreundlichkeit reichte die Puste schon gleich gar nicht. Da wurde die knappe Energie dann lieber in diverse inkomatible und nicht standardkonforme HTML-Erweiterungen gesteckt, auf dass andere Browser sich an derart codierten Seiten hoffnungslos blamieren sollten. Die aber waren ohnehin schon auf dem absteigenden Ast der schwindenden Marktanteile, weil sie eben nicht wie IE kurzerhand zum Teil des Betriebssystems erklärt und zwangsverbreitet werden konnten...
Um überhaupt noch eine ehrenvolle Rolle spielen zu können, war Netscape sozusagen zum Harakiri gezwungen (sprich: Freigabe des Quellcodes)...
Wir wissen, wie die Geschichte weitergeht: der Internet Explorer ist auch heute unter allen bekannten Browsern der wahrscheinlich rückständigste und unsicherste, hat aber trotzdem (noch immer) den höchsten Marktanteil...
Da jedoch Firefox bedenklich aufholt, wird Microsoft tun, was es in solchen Situationen immer getan hat: dessen gute Ideen schamlos übernehmen.
- Möchte auch nicht wissen, was M$ im Laufe der Jahre alles an Know-How oder gar Code aus Open-Source-Projekten "gezogen" hat, ohne die entprechenden Lizenzbedingungen (z.B. GPL) einzuhalten...
Tja, Olaf, das ist es, was mir dazu spontan einfällt. Es mag aus der Erinnerung heraus nicht in allen Details korrekt sein, aber die wesensmäßige Aussage stimmt sicher.
Schönen Gruß,
Manfred
P.S.: Übrigens, das Editorial der aktuellen c't passt auch irgendwie zum Thema...
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