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Tat twam asi

Apocalypsedude / 0 Antworten / Baumansicht Nickles

Der Aspirant und der Satguru:

Es war einmal ein junger Aspirant, der wollte wissen: „Was ist Gott?“
Darüber dachte er nach und kam zu keinem Ergebnis. Da fragte er viele Menschen und jeder gab ihm eine andere Antwort. Dar-auf las er fünfundzwanzig verschiedene Bücher und aus ihnen erhielt er fünfundzwanzig unterschiedliche Antworten.
Da dachte er: „Ich muss zu jemandem gehen, der mir eine über-zeugende Antwort geben kann. Und wer kann das sein? Nun, bestimmt nicht jemand, der nur von Gott gehört oder nur über ihn spekuliert hat. Nein, ein selbstverwirklichter Guru muss es sein, der Eins ist mit Gott.“ Er erkundigte sich nach einem sol-chen Meister. Im Dschungel sollte so ein Lehrer leben, vier Ta-gesreisen entfernt. Also nahm er zehn Tage Urlaub und begab sich auf den Weg. Flüsse musste er durchschwimmen, Moraste durchwaten, und fünftausend Mücken stachen ihn. Nach vier Tagen erreichte er die Hütte des Meisters. Er klopfte an die Tür. Doch niemand öffnete. Er klopfte noch einmal. Immer noch blieb es still. Er wartete eine ganze Stunde vor der Hütte, doch nie-mand kam. Da öffnete er vorsichtig die Tür und sah in das Halb-dunkel hinein. Und er sah den Meister meditierend dort sitzen. Leise setzte er sich zu ihm und meditierte ebenfalls. Nach einer weiteren Stunde öffnete der Meister die Augen. Vor ihm saß ein Fremder, der ihn fragend anschaute.
Sitzend verneigte sich der Schüler und sagte: „Oh, großer Meis-ter, ich würde gern wissen: ‚Was ist Gott? Wo ist Gott?’ Die einen sagen: ‚Gott ist im Himmel.’ Die anderen sagen: ‚Gott ist in der Erde.’ Noch andere sagen: ‚Gott ist im Herzen.’ Dann heißt es: ‚Gott ist immanent.’ Und es wird gesagt: ‚Gott ist transzendent.’ Und wiederum andere meinen: ‚Gott ist sowohl immanent wie auch transzendent.’ Dann gibt es Menschen, die sagen: ‚Gott ist männlich.’ Andere sagen: ‚Gott ist weiblich.’ Und die nächsten sagen: ‚Gott ist sowohl männlich wie auch weiblich.’ Die einen schwören: ‚Gott hat einen Bart.’ Die anderen sind überzeugt: ‚Gott hat Stoßzähne.’ Oh, Meister, bitte sag mir: Wer ist Gott? Was ist die Wahrheit?“
Der Meister, der seit Stunden meditiert hatte, hörte dem Aspi-ranten mit Mühe zu. Ruhig saß er da und schließlich antwortete er: „Prajnanam brahman - Bewusstsein ist Brahman, Bewusst-sein ist Wahrheit.“, und er schloss wieder die Augen.
Das war alles. Eine ausführlichere Antwort bekam der Schüler nicht. Also begab er sich auf den Rückweg. Flüsse musste er durchschwimmen, Schlangen ausweichen, ein Bär erschreckte ihn.
Unterwegs dachte der Aspirant: „So weit musste ich reisen, so viele Gefahren auf mich nehmen und der Meister sagt mir nur einen Satz: ‚Prajnanam brahman - Bewusstsein ist Brahman.’ Ist das wirklich die Antwort, die ich suche? Und der Meister, ist er der Guru, den ich brauche? Ich brauche einen Guru, den ich ver-ehren kann. Ich suche einen großen, den idealen Guru.“
Aber dann dachte er: „Und ich, bin ich denn der ideale Schüler? Und so viele Worte habe ich gesprochen, musste ich so viel reden? Nun“, dachte er weiter, „in Büchern steht, der weise Dattatreya brauchte keinen menschlichen Guru, sondern eine unscheinbare Biene war seine Lehrerin. Von ihr lernte er, dass man bei schö-nem Wetter Nahrung sammeln muss, um im Winter nicht zu hungern. Und eine andere Biene lehrte ihn, den Sinnen nur mit Bedacht zu folgen, denn sie war abends bereits ziemlich beladen noch in eine Blüte gekrabbelt, um auch diesen Nektar in den Stock zu tragen, aber die Blüte hatte sich geschlossen, ein Ele-fant war des Weges gekommen und hatte die Blüte mitsamt der Biene zertrampelt.“
„Ja, einen Satz nur hat der Meister zu mir gesagt. Was hat er mit ihm gemeint: ‚Prajnanam brahman - Bewusstsein ist Brahman?’ Ist das wirklich so? Wenn ich nun ohne Bewusstsein wäre?“ Er erschrak. „Oh“, rief er, „ohne Bewusstsein wäre ich ja tot! Und was wären die Tiere ohne Bewusstsein? Sie wären ebenfalls tot. Und was wären die Pflanzen ohne Bewusstsein? Sie wären abge-storben.“
Er erkannte, dass die Erde ohne das Bewusstsein der Lebewesen ein entsetzlicher Ort wäre. Da schaute er plötzlich die Natur mit ganz anderen Augen an. Dort, in diesem Schmetterling also, der da an ihm vorüber gaukelte, war Bewusstsein! In den Bäumen, die ihn umgaben, war Bewusstsein! In den Bächen, die er durch-waten musste, war Bewusstsein! Er erkannte: „Gott ist nicht ir-gendwo im Himmel und nicht irgendwo in der Erde. Und unwich-tig ist es, ob er transzendent oder immanent ist. Ja, unwichtig ist es sogar, ob er existiert oder nicht, sondern wichtig allein ist das Bewusstsein, das Bewusstsein in uns und um uns herum, und wichtig ist es, das Bewusstsein zu spüren und zu erkennen.“
Mit diesem Wissen kehrte er in sein Dorf zurück. Klar sah er: Überall ist Bewusstsein, Gott ist Bewusstsein. Aber dann tauchte eine neue Frage auf. Man sollte Gott ja nicht nur erkennen, son-dern auch verwirklichen. Wie konnte er denn Gott verwirklichen? Danach drängte es ihn doch. Er beschloss, den Meister noch ein-mal zu besuchen. Wieder kämpfte er sich durch den Dschungel. Die Moskitos stachen ihn zu Tausenden. In einem Fluss, der während der Monsunzeit Hochwasser führte, ertrank er beinahe. Doch schließlich stand er wieder vor der Hütte des Meisters. Er klopfte, wartete, dann trat er ein. Der Meister meditierte wieder-um und der Aspirant setzte sich zu ihm.
Irgendwann kam der Meister aus seiner Meditation heraus und der Schüler sagte: „Oh, Meister, ich habe erkannt: ‚Prajnanam brahman.’ Tatsächlich, Gott ist Bewusstsein. Ich habe erkannt, Bewusstsein ist das Wesentliche, das Schöne im Universum. Und ohne Bewusstsein ist alles sinnlos. Den Körper liebt man nicht des Körpers wegen, sondern weil Bewusstsein in ihm ist. Die Schönheit liebt man nicht der Schönheit wegen, sondern weil sich in ihr Bewusstsein verbirgt. Und wir muten unserem Körper vie-les zu und kräftigen ihn, weil das Bewusstsein uns dazu drängt. Verlässt das Bewusstsein eines Tages unseren Körper, dann hat er keine Bedeutung mehr und das Bewusstsein wandert weiter. Das habe ich erkannt, aber, oh, großer Meister, es heißt, man soll Gott nicht nur erkennen und spüren, sondern auch verwirkli-chen. Wie verwirkliche ich Gott?“
Der Meister hatte zugehört. „Tat twam asi.“, sagte er. „Das Be-wusstsein, das du überall gesehen, gespürt und erkannt hast, ‚tat twam asi’ - das bist du’.
Und er schloss wieder die Augen und versank in tiefe Meditation. Mühselig war der Weg des Schülers zurück durch den Dschungel. Vor einem zornigen Wildelefanten musste er um sein Leben ren-nen. Nachdem er sich gerettet hatte, wanderte er weiter und ständig dachte er an den Satz: „Tat twam asi. Tat twam asi.“
Auf einmal rief er: „Aber ja, natürlich, warum bin ich nicht schon früher darauf gekommen? Mein Bewusstsein ist ein Teil des un-endlichen, absoluten und göttlichen Bewusstseins. Aham brah-masmi - ich bin Brahman.“
Dieser Gedanke durchfuhr ihn, durchdrang alle Zellen und ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte ihn.
„Ayam atma brahman -“, flüsterte er, „ - mein Selbst, dieses Selbst ist Brahman.“
Und dann spürte er das Absolute, das Göttliche. Nicht nur in seinem Körper, sondern auch in den Vögeln, in den Bäumen, in den Wolken und im Himmel. Sein Bewusstsein war eins mit dem Bewusstsein in allen Körpern, und allen Erscheinungen um ihn herum. Keine Trennung, keinen Unterschied gab es mehr. So kehrte er in seinen Heimatort zurück. Aber je länger er in seinem Haus lebte und den alltäglichen Arbeiten nachging, umso unsi-cherer wurde er, ob das, was er gefühlt und gedacht hatte, auch die Wahrheit war. Dachte er tief genug, konnte er seinem ge-fühlsmäßigen Verständnis trauen? Nach ein paar Monaten, als er sich von seinen Pflichten wieder für zehn Tage frei machen konn-te, begab er sich noch einmal zu seinem Guru. Beschwerlich und gefährlich war der Weg wiederum. Aber dann stand er vor der Hütte, klopfte und trat ein. Der Meister, erwartete ihn bereits.
„Nun, mein Sohn, was kann ich für dich tun?“ fragte er.
Der Schüler sagte: „Oh, großer Meister, bei meinem vorigen Be-such hast du mir gesagt: ‚Tat twam asi.’ Ich habe darüber nach-gedacht und meditiert, und ich habe die Einheit mit allem ge-spürt, aber ich bin mir nicht sicher.“
Der Lehrer sagte: „Ayam atma Brahman - dieses Selbst ist Brahman.“
Dies war die Bestätigung. Dieser Satz räumte alle Zweifel aus.
„Aham Brahmasmi - ich bin Brahman“, sagte der Aspirant und erreichte Nirvikalpa Samadhi (höchster überbewusster Zustand, ohne Dualität).


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