Wer kann mir den Begriff "soll" definieren?
Ich meine nicht "Soll" im buchhalterischen Sinn als Gegensatz zu "haben", sondern "soll" als Begriff in einer Reihe, die etwa so aussehen könnte:
"kann - soll - muß."
Man kann "soll" sehr locker interpretieren, Beispiel: "Du sollst auf der Autobahn nicht schneller als 130 fahren." In diesem Satz bedeutet "soll": "...Wenn du aber schneller fährst, ist es auch okay."
Nimmt man dagegen das biblische Gebot "du sollst nicht töten", dann heißt das so viel wie "du darfst nicht töten" - dann ist der Begriff "soll" also ein Verbot (oder Gebot).
Ich habe mich heute mit einem Juristen darüber unterhalten, der meinte, das "soll" käme dem "muß" sehr nahe - aber er konnte das genauso wenig belegen wie ich das Gegenteil.
Beispiele für die o.g. Frage gibt es natürlich in jeder Richtung - nur, welche stimmt?
sapere aude
A4.
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Hi!
Ich bin kein Sprachgelehrter, aber meiner Meinung nach ist das Problem hier, dass das erste Beispiel einfach ungünstig gewählt wurde.
Etwas "sollen", bedeutet IMHO immer auch die Nennung einer Anweisung. Diese Anweisung kann man immer übergehen, das hat dann aber Konsequenten zur Folge.
Beispiele:
- Du sollst zu mir kommen!
- Du sollst dein Zimmer aufräumen!
Das kann man als angesprochene Person ignorieren, dass daran aber (unausgesprochene) Konsequenten gebunden sind, unterstellen wir jetzt einfach mal ohne weiteren Widerspruch.
- Du sollst nicht stehlen.
- Du sollst nicht töten.
Auch diese Anweisungen kann man ignorieren. Die Konsequenzen dafür sind bekannt. Aber natürlich kann man versuchen die Konsequenzen zu umgehen.
- Ich hab' mein Zimmer vorhin aufgeräumt, das war mein Bruder!
;-)
Das Problem mit der Richtgeschwindigkeit ist meiner Meinung nach, dass man das gern umgangssprachlich so formuliert, dann aber gleich als Bedeutung mit einschliesst, dass das eh niemand merkt (die Konsequenz also gleich ins Leere läuft).
- Du sollst nicht schneller als 130 fahren; aber wenn du das nicht machst, dann merkt das eh keine Sau...
Es ist zwar als eindeutiges Verbot formuliert, aber da es weder von den Eltern kommt, noch eine Sünde ist... ;-)
Diese 130er Regelung mit "soll" zu beschreiben hat sich irgendwie eingebürgert, aber ich sehe das als falsch an. Eigentlich ist dieses Richtgeschwindigkeitsdingens ja nur eine Bitte, nicht schneller zu fahren. Daher sollte man da eigentlich sagen "Fahre nach Möglichkeit nicht schneller als 130", dass drückt die Bitte aus und ist kein Verbot.
Daher stimme ich zu, dass "soll" nahe dem "muss" liegt.
Bis dann
Andreas
"Interessanter finde ich ehrlich gesagt die Frage, woher jemand die Muße nimmt, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen."
das lässt sich sehr leicht - und gleich doppelt beantworten.
a) ist die Sprache - für mich - eines der wichtigsten Dinge überhaupt. "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." (Wittgenstein) Unser Denken beruht auf Sprache; wir denken in sprachlichen Begriffen. Was wir sprachlich nicht erfassen können, können wir auch nicht denken.
b) es geht konkret um eine Satzung, in der die Formulierung "...ist zu vergeben" in "soll vergeben werden" geändert werden soll.
Letzteres ist eine "weichere" Formulierung, die Frage lautet nur, wie weich. Wahrscheinlich bedeutet das "soll" etwas ähnliches wie "muß" oder "ist", nämlich, daß etwas im Regelfall zu geschehen hat, eine Abweichung aber einer speziellen Begründung bedarf.
Also ähnlich wie bei der Formulierung "du sollst nicht töten" = "du darfst nicht töten...außer in Notwehr" Diese Ausnahme ist im Begriff "soll" enthalten.
So scheint es jedenfalls zu sein. Da aber - siehe oben - Sprache nicht so ganz unwichtig ist, wollte ich mal hören, was andere dazu denken - ich bin nämlich kein Semantiker.
Servus A4,
du sprichts hier etwas an, was mich manchmal bei unseren Hausjuristen in den Wahnsinn treibt - ich kann dich hier, gerade wenn es um eine Art Satzung geht - vollkommen verstehen! Früher habe ich immer bei Gesprächen mit den Kollegen versucht, Wörter aus anderen Sprachen zu verwenden, um den Sinn adäquat zu transportieren (z.B. im Englischen gibt es ja für dein "sollen" die Begriffe "must" und "need", wobei das erstere das "zwingende sollen" [Befehlsform / keine Ausnahme] und das letztere das "fakultative sollen" [Möglichkeitsform / Ausnahmen zulässig] abbildet - solche Feinheiten haben wir beim "sollen" ja nicht immer, da musst du schon mit "müssen", "dürfen", "brauchen", "können" arbeiten).
Auch der Begriff "oder" ist einen Gedankengang wert, die lateinischen Begriffe "vel" und "aut" werden zwar auch mit "oder" übersetzt, das eine ist jedoch das "ausschließliche oder", das andere das "sowohl-als-auch oder"....
Bevor ich noch weiter abschweife - ich würde bei deiner Formulierungsänderung ("...ist zu vergeben" in "soll vergeben werden") mit den Mitgleidern des Vereins explizit besprechen, was genau durch diese Änderung erreicht werden soll (Sprache muss man ja immer im Kontext sehen - und das meine ich nicht nur im Bezug auf andere Satz- bzw. Schriftstückteile, sondern auch im Hinblick auf den damit Verbundenen Willen der schreibenden Person) - falls hier wirklich ein "Axiom" bzw. eine "eherne Gesetz" aufgestellt werden soll, dann sollte das "ist" beibehalten werden, bei einer "Richtlinie" (für den Normalfall, Flexibilität im Ausnahmefall ist aber manchmal nötig) würde ich das Ganze in "soll" wechseln (allerdings wirst du dann irgendwann Spaß mit Kollegen bekommen, die auf jeweils eine anderes Bedeutung von sollen pochen *g*).
Ich versuche mich mal an einem Beispiel - ihr seid ein Sportverein und wollt den Vorplatz eures Vereinsheims unter allen Umständen bei Heimspielen an lokale Unternehmen vermieten (z.B. Würstchenbude / Bierstand, etc.) - dann würde ich so formulieren "Bei Heimspielen der Mannschaft ist der vor dem Vereinsheim befindliche Platz an ortsansässige Unternehmen aus dem Gastronomischen Gewerbe zur Verfügung zu stellen"; sofern auch andere Unternehmen zum Zuge kommen sollen entsprechend mit einer Ergänzung "Bei Heimspielen der Mannschaft soll der vor dem Vereinsheim befindliche Platz an ortsansässige Unternehmen aus dem Gastronomischen Gewerbe zur Verfügung gestellt werden, bei Absage / fehlender Interessensbekundung durch vorgenannte Unternehmen bis 3 Werktage vor dem Tag des jeweiligen Heimspiels ist die Vergabe an ortsfremde Unternehmen zulässig".
In diesem Sinne - lass den Kopf rauchen 8-)
BG,
Bergi2002
Hallo A4,
ist eine "weichere" Formulierung
So wirds gewollt sein, wobei weicher nichts anderes bedeutet, als sich ein Hintertürchen offen zu lassen.
Bei uns im ö.D. wurde zB bei Bescheiden der Begriff "grundsätzlich" gern genommen.
Die "breite Masse" (gemeint ist Ottonormalverbraucher) deutet dies immer noch (zu) oft als "immer". Tatsächlich läßt aber genau dieses grundsätzlich alle Möglichkeiten zu.
Für mich ist also soll im gleichen Atemzug gemeint.
Gruß
Gerd
) ist die Sprache - für mich - eines der wichtigsten Dinge überhaupt. "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." (Wittgenstein
Kann man auch heute noch akzeptieren.
m.E. soll bedeutet für mich eine Empfehlung
muss wie im Englischen, etwas unbedingt tun, einhalten etc.
"Interessanter finde ich ehrlich gesagt die Frage, woher jemand die Muße nimmt, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen."
Ist doch anerkennenswert, wenn man den zunehmenden Sprachverfall begegnen will.
Es ist amüsant und traurig zugleich, wenn studierte Germanisten, das sollten Chefredakteure ja eigentlich sein, Politiker, Kommentatoren, Moderatoren und alle die uns mit ihren Elaboraten berieseln, nicht mal den Komperativ beherrschen.
was hältst du von dieser Variante
"soll,je nach Möglichkeit, vergeben werden"
Gruß
Steven
BTW, schön dich mal wieder zu lesen, alter Freund
Moin A4,
ich befürchte, daß sich darauf keine eindeutige Antwort finden lässt. Je nach Kontext kann das Wort soll unterschiedlich betrachtet werden.
Im Rahmen von Softwareprojekten bzw. deren Dokumentation erfolgt teilweise extra noch mal eine genaue Definition wie kann - soll - muß zu interpretieren ist. Wobei gerne empfohlen wird ein soll als zwingende Verpflichtung zu sehen. Dann kann man die Gegensätzlichen Bezeichnungen soll und soll nicht verwenden, statt muß und darf nicht (mit unterschiedlichen Wörtern). Im Rahmen einer solchen Definition wären Deine beiden Beispiele dann als verbindliches Verbot aufzufassen.
Gruß
bor
Also:
"Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." (Wittgenstein)"
"Unser Denken beruht auf Sprache; wir denken in sprachlichen Begriffen. Was wir sprachlich nicht erfassen können, können wir auch nicht denken."
Solche einseitigen Aussagen würden einen heutigen Sprachforscher möglicherweise Kopf und Kragen kosten.
Deine Einschätzung der Wichtigkeit der Sprache in allen Ehren.
Heute weiß man, es gibt auch sprachfreies Denken.
Wenn ich eine defekte Ampel sehe die rot grün und gelb ist erfasse ich dies ohne an rot gelb oder grün als sprachlichen Begriff zu denken. Die Netzhaut erfaßt diese drei hochfrequenten periodischen Vorgänge Licht und leitet sie ans Gehirn.
Dennoch sollte man die (umgangs) Sprache nicht unterschätzen
und auch nicht "inhaltliche überlegungen" die von vielen Mathematikern als naiv unpräzise und unmathematisch betrachtet wird.
"Sollte" ist hier nicht imperativ gemeint.
Der Logiker Bertrand Russel hat mal gegen das axiomatische Denkverbot gewettert:
"Mathematik ist wenn man weder weiß worüber man redet noch ob was man sagt wahr ist."
(Wahrscheinlich mit einem Augenzwinkern),
denn die Logik ist ja noch allgemeiner als die Mathematik.
Es war wohl nur ein Hinweis, das Formale ohne denken sei ungenügend.
Hallo,
> Was wir sprachlich nicht erfassen können, können wir auch nicht denken
Ein schöner Spruch in diesen Wahlkampfzeiten.
Gilt nicht nur für die Zuhörer (Ich habs schon mal verlinkt, finde es SO gut):
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,650594,00.html
Gruss
ChrE
Der ist gut. Aber zum sprachlichen Horizont der Politiker..
Kohl soll mal auf die Frage ob er ein Pragmatiker ist,
geantwortet haben:
"sowohl als auch"
-- Da isses ja wieder dieses Soll.
Ja man sollte sich mit nur scheinbar einfachen Begriffen und feinen Unterschieden wie soll und sollte befassen.
Also in der Sprache über die Spache nachdenken..
@ Amenophis IV,
bedeutet dazu aufgefordert zu sein.
Ich soll kommen: Ich bin aufgefordert, zu kommen.
Ich MUSS kommen: Mir bleibt keine andere Wahl.
Hilft das weiter?
CU
Konstantin