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Interessant: Blinder Frieden - Eine Nachschrift zum Irak-Kri

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Blinder
Frieden





Eine
Nachschrift zum Irak-Krieg / Von Hans Magnus Enzensberger








1. Eine der wenigen
tiefen Freuden, welche die Geschichte bereithält, ist das Ende
eines Gewaltherrschers, gleichgültig, ob es sich um den Verlust
seiner Macht handelt oder um seinen Tod. Der Sturz seiner Statuen,
die Zerstörung seiner Bilder symbolisiert diesen Moment. Hitler,
Stalin, Franco, Pinochet, Ceausescu, Mobutu, Milosevic, Saddam - die
Liste nimmt kein Ende. Absehbar ist das Ende von Castro, Mugabe, Kim
Jong-Il und einem Dutzend anderer; jeder Tag, an dem sie weiter
herrschen, kostet Menschenleben.





Die triumphale Freude,
die man empfindet, wenn wieder eine dieser Figuren krepiert, beruht
darauf, daß man sie überlebt hat. Was Canetti über
das wichtigste Motiv des Gewaltherrschers sagt: daß er
möglichst viele Menschen sterben sehen will, bevor er selbst an
der Reihe ist, das findet hier seine Widerspiegelung bei denen, die
ihn verabscheuen. Insofern haftet selbst diesem wunderbaren Gefühl
noch etwas Barbarisches an, obwohl es sich gegen die Feinde der
Menschheit richtet.





2. Darf man sich also
freuen, oder darf man es nicht? Die Bilder vom Sturz Saddam Husseins
sind, wenn nicht gefälscht, so doch höchst verdächtig.
Erleichterung ist eine Regung, der man besser nicht nachgibt.
Verdienstvoller ist es, zu warnen und zu mahnen, und wenn sich die
Friedensbewegten ein Wort über den Sieg abringen, so klingt es
gepreßt. Irgendwie peinlich, daß es Irakis gibt, die ihre
Okkupanten begrüßen! Niemand liebt es, alsder Blamierte
dazustehen.





Es ist nicht die erste
Blamage der Warner und Mahner; nicht zum ersten Mal haben sich die
Sorgenfalten, welche die deutsche Stirn furchen, als voreilig
erwiesen. Es ist noch nicht sehr lange her, da galt die DDR
hierzulande als unerschütterlich; sie wurde für eine der
erfolgreichsten Industrienationen der Welt gehalten; die
Sozialdemokratie tat alles, um mit der SED ins einvernehmliche
Gespräch zu kommen; die polnische Solidarnosc wurde dabei als
gefährlicher Störenfried betrachtet. Stabilität war
alles, die Sowjetunion ein unbesiegbarer Koloß, den nur die
Amerikaner und andere kalte Krieger reizten, während die
heroischen Belagerer von Mutlangen sich gegen die provozierende
Nachrüstung der Vereinigten Staaten ins Zeug legten. Sonderbar
und für viele Linke höchst ärgerlich, daß der
Koloß auf tönernen Füßen stand!





Auch das Serbien des
Slobodan Milosevic hätte man um des lieben Friedens willen eher
wie ein rohes Ei behandeln sollen, drohte doch jede Intervention auf
dem Balkan einen Flächenbrand von unkalkulierbaren Ausmaßen
hervorzurufen. Und die Taliban erst! Wer die angriffe, brächte
die ganze islamische Welt gegen sich auf, eine apokalyptische
Vorstellung.





Ein ähnliches
Unisono der Überschätzung war im Hinblick auf den Irak zu
hören. Man übte sich in einer Art von Schreckstarre - der
Friedensfreund nahm die Haltung des Kaninchens vor der Schlange an:
„Der Bundesregierung liegen verschiedene Studien vor, darunter
UN-Dokumente. Danach wird mit 40 000 bis 200 000 Opfern von
militärischen Aktionen gerechnet. Es wird befürchtet, daß
bis zu 200 000 weitere Menschen an den mittelbaren Folgen des Krieges
sterben" (Jürgen Trittin). „Die Iraker hatten ein
Jahr lang Zeit, sich auf den Krieg vorzubereiten. Und man sieht ja
auch, wie gut sie sich vorbereitet haben ..., so daß ein
solcher Versuch sicherlich in einer großen Schlacht um Bagdad
enden würde" (Stig Förster, Militärhistoriker).
„Ein Angriff hätte zur Folge, daß der Mittlere und
Nahe Osten explodiert" (Angelika Beer, Vorsitzende der Grünen).





3. Nach irakischen
Angaben hat es in diesem Feldzug 1300 zivile Opfer gegeben; 153
Soldaten sollen auf seilen der Koalition gefallen sein. Man muß
solche Zahlen nicht für bare Münze nehmen. Fest steht aber,
daß noch nie ein Krieg von solcher Dimension so wenige Opfer
gefordert hat wie dieser Noch nie wurden diese Opfer mit so großer
Emphase in allen Weltmedien, die der Sieger eingeschlossen, gezeigt.





Dieses Mitgefühl
steht in einem eigentümlichen Kontrast zur Ausblendung anderer
Tatsachen: Während des Irak-Konflikts sind im Kongo mindestens
tausend Zivilisten in sogenannten Stammeskriegen ermordet worden -
für die großen Medien ein Fait divers. Dreißig
andere, oft weit grausamere Kriege in aller Welt führen ein
Schattendasein. Auch scheinen sich die Deutschen an Hamburg, Köln,
Nürnberg, Berlin und Dresden nicht zu erinnern - vielleicht,
weil jeder Vergleich zeigen würde, wie vorsichtig die
anglo-amerikanische Koalition diesmal vorgegangen ist.





Allgemein herrscht bei
den Friedensbewegten die merkwürdige Vorstellung, daß es
bei einem Krieg, den sie verhindern wollten, wenn er dennoch
stattfinde, auf keinen Fall Tote geben dürfe, eine Forderung,
die man rührend nennen könnte, wenn sie nicht auf einen
Realitätsverlust schließen ließe, der im politischen
Sinn nichts Gutes verheißt. Übertroffen wird er nur von
der Realitätsverweigerung der arabischen Welt, wo die liebste
aller Gewohnheiten die Selbsttäuschung ist. Der Wunsch als Vater
des Gedankens scheint dort unbeschränkt zu herrschen, und je
fataler ein Vorbild, desto eifriger hängt man ihm an: Nasser,
Arafat, Gaddafi, Bin Ladin, Saddam Hussein ...





4. Wie oft - und wie
folgenlos - ist es schon gesagt worden: Der Code der Politik ist mit
dem der Moral nicht deckungsgleich. Vielen Empörten gelingt es
nicht, diese Unterscheidung zu treffen. Ihre eigentümlich
geduckte Haltung geht einher mit einer moralischen Erhabenheit, die
wundernimmt. Vielleicht ist das der Grund, warum ihrer Kritik eine
spezifische Geruchsnote anhaftet. Pharisäertum und Heuchelei
holen die meisten Protestierer früher oder später ein.
„Kein Blut für Öl!" - ein wirksamer Slogan, auch
wenn er im Munde von Leuten ertönt, die auf ihr Auto, ihre
Heizung, ihre Ferienreisen den größten Wert legen und
deren Empörung rasch ein anderes Ziel fände, wenn die
Tankstellen leer wären, das Thermometer auf Minusgrade sänke
und die Flüge nach Mallorca storniert würden.





Was die „Achse"
Paris-Berlin-Moskau angeht, so werden zwar den Amerikanern niedrige,
materielle, gewinnsüchtige Motive unterstellt, die eigenen
bleiben jedoch ausgeblendet. Rußland und Frankreich haben
enorme ökonomische Interessen im Irak, nicht zuletzt im Öl-
und im Waffengeschäft, und die Bundesrepublik hat sich mit
Rüstungsexporten in .den Irak jahrzehntelang hervorgetan.





Es ist eine Tatsache, daß
die von den Vereinten Nationen verhängten Sanktionen für
die Bevölkerung des Iraks weit verheerendere Folgen hatten als
der Krieg; Schätzungen der Opfer gehen in die Hunderttausende.
Von den Friedensfreunden wurden sie aus diesem Grund stets
angeprangert. Wäre es nach ihnen gegangen, so wäre das
Regime geblieben und mit ihm die von der UN beschlossenen Sanktionen.





5. Ein frommerer Wunsch
als der nach der größtmöglichen Schonung des
irakischen Gewaltregimes ist es, in jenem Land demokratische
Verhältnisse zu schaffen. Dagegen wird eingewandt, daß
die religiösen und
politischen Traditionen der Region dies zu einer Illusion machen.
Abgesehen davon, daß solche Argumente von kolonialem Hochmut
nicht ganz frei sind, unterschlagen sie, daß ein Regime wie das
irakische mit den hergebrachten Herrschaftsformen der islamischen
Welt wenig gemein hat; es ist im fatalsten Sinn modern und verdankt
Entscheidendes dem Vorbild Nazi-Deutsch-lands und der Sowjetunion.





Es
gibt aber nichts, was einer Gesellschaft teurer zu stehen käme
als ein totalitäres System. Der Terror, den es übt, ist
nicht nur physischer Art; er beschränkt sich nicht auf Folter
und Mord. Eine derartige Herrschaft führt nämlich Verluste
an menschlicher Substanz herbei, die noch jahrzehntelang nach ihrem
Ende spürbar sind. Das beginnt mit der Vertreibung und der
Flucht der Besten, ein Verlust, von dem sich eine Gesellschaft nie
wieder ganz erholt. (Rußland 1917 bis, Deutschland 1933 bis,
Spanien 1936 bis, Iran 1953 bis, Argentinien 1976 bis, Jugoslawien
1991 bis und so weiter; auch diese Liste ließe sich beliebig
verlängern.) Die Mentalität der verbliebenen Mehrheit
verändert sich um so nachhaltiger, je länger die
Gewaltherrschaft andauert. Zivilisatorische Defizite, Recht- und
Verantwor-tungslosigkeit nehmen Überhand, es kommt zu
Wahrnehmungsstörungen und zur Senkung aller Hemmschwellen. Erst
nach dem Zusammenbruch solcher Regimes zeigen sich diese
langfristigen Schäden. Die Resozialisierung ganzer Völker
ist, was gerade den Deutschen nicht entgangen sein dürfte, ein
äußert langwieriger und komplizierter Prozeß.





Man
kann fest damit rechnen, daß jedes Problem, das in solchen
Fällen auftaucht, denen angelastet wird, die das Regime
beseitigt haben. Selbst wenn die Amerikaner und die Briten im Irak
Wunder bewirken würden, gälte dies nur als ein weiterer
Beweis für ihre Hinterlist.





6.
Das Haßobjekt der Kriegsgegner in dem gegenwärtigen
Konflikt ist nicht Saddam Hussein, sondern G.W. Bush - eine Tatsache,
die immerhin erklärungsbedürftig ist. Die radikaleren
Wortführer der Linken, der Islamisten und des arabischen
Nationalismus sprechen, wenn man sie nach dem Diktator fragt, denn
von selber kommen sie nur ungern auf ihn und sein Werk zu sprechen,
von einer vollkommenen Symmetrie zwischen Bush und Saddam;
gefährlicher, sagen sie, sei jedenfalls der erste.





Dasselbe
Manichäertum, das seine Kritiker dem amerikanischen Präsidenten
vorwerfen, zeichnet sie selber aus. Beide möchten das Böse
eindeutig lokalisieren, die einen im Irak, die ändern in den
Vereinigten Staaten. Daß Gut und Böse anthropologisch
stets in ein und derselben Brust wohnen, können sie sich beim
besten Willen nicht vorstellen. Die Differenz zwischen den
politischen Systemen der Vereinigten Staaten von Amerika und der
Republik Irak scheint ihnen unbekannt zu sein, oder sie halten sie
für irrelevant. Kein Wunder, daß die Osteuropäer mit
dieser Gleichsetzung wenig anfangen können. Ihnen kommt die
Phantasielosigkeit der Kriegsgegner grotesk vor; ihre historischen
Erfahrungen erleichtern es ihnen, Nuancen wie den Unterschied
zwischen Leben und Tod zu bemerken. Besonders merkwürdig ist der
Umstand, daß auch viele Deutsche der Rhetorik des Appease-ment
anhängen, ganz so, als hätten sie nie unter einem
totalitären Regime gelebt. Hinreichende Gründe, der
Gewaltherrschaft im Irak ein Ende zu machen, konnten die.meisten
nicht erkennen; nicht daß sie ihr ein ewiges Leben wünschten,
das wäre zuviel gesagt, doch jeder entschiedene Schritt, der
dazu dienen konnte, sie zu beseitigen, wurde mißbilligt. Trotz
der deutschen Erfahrungen oder am Ende gar ihretwegen?





Vielleicht
ist es. erlaubt, daran zu erinnern, wie schwer es den Deutschen fiel
und fällt, die Niederlage des Nazi-Regimes als Befreiung
aufzufassen - sie hieß „der Zusammenbruch", und die
Alliierten waren„die Besatzung". Zu den frühesten
Graffiti der Nachkriegszeit gehört der Spruch „Ami go
home". Auch das Ende der ostdeutschen Diktatur kam nicht allen
Bewohnern des Landes gelegen.





Zugegeben,
Dankbarkeit ist keine politische Kategorie. Die Tatsache, daß
Deutschland von den Westalliierten gerettet worden ist und daß
ohne sie die Mauer heute noch stünde, läßt
infolgedessen keinerlei Dank erwarten. Allerdings überrascht der
Gedächtnisverlust, der sich hier zeigt. Ein wenig mehr Mut zur
Freiheit, eine Spur weniger Überheblichkeit könnte in
diesem Zusammenhang womöglich nicht schaden.



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