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News: Verheerendes Ergebnis

Wikipedia ist ein Kriegsgebiet

Redaktion / 11 Antworten / Flachansicht Nickles

Wikipedia ist ein Kriegsgebiet geschäftlicher und politischer Interessen, zu diesem Schluss kommt der Student Virgil Griffith. Er hatte die gesamte englischsprachige Wikipedia nach Fakes und Manipulationen durch Politik und Wirtschaft durchsucht.

Dazu untersuchte er die Edits, die auch IP-Adressen enthalten, und ordnete diese bekannten Adressräumen von Firmen und Parteien zu. Namentlich wird zwar niemand genannt, aber es müssen wohl viele Wikipedia-Vandalen unterwegs sein.

Auf der Website des Studenten kann die Wikipedia mit dem "Wikipedia-Scanner" nach Namen, Orten u.a. durchsucht werden.

Quelle: futurezone

dl7awl Redaktion „Wikipedia ist ein Kriegsgebiet“
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Versucht es doch mal positiver und etwas weniger fatalistisch zu sehen! Und vor allem etwas breiter.

"Es ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen." [Kurfürst Friedrich Wilhelm v. Brandenburg]

Zu allen Zeiten haben die Reichen und Mächtigen zu beeinflussen versucht, was als "wahr" zu gelten hat. Ganz plump in totalitäten Staaten, oder subtiler und vielleicht auch gefährlicher in so genannten "freiheitlichen" Systemen, in denen oft genug eben jene Freiheit verraten wurde und wird, um sie (angeblich) zu verteidigen. Diese Formel gilt übrigens auch, wenn man "Freiheit" z.B. durch religiöse Werte ersetzt. Zu allen Zeiten waren Menschen, die "zu" weit voraus gedacht und "nicht genehme Wahrheiten" vertreten haben, Verfolgungen ausgesetzt, wurden getötet, als "verrückt" interniert, gesellschaftlich geächtet oder verloren zumindest ihren Job. Auch heute, und in diesem Land.

Was ist überhaupt Wahrheit? Immer ein Produkt dessen, was man "Zeitgeist" nennt. Dass sie im Bereich der Geisteswissenschaften schwankt und "Modeströmungen" unterworfen ist, liegt auf der Hand. Aber wie ist es mit der "Wahrheit" bei den sog. exakten Naturwssenschaften? Nur ein Beispiel für ihre "Formbarkeit": Wenn in der wissenschaftlichen Literatur ständig neue Krankheiten auftauchen oder bisher für normal gehaltene Befunde per definitionem in den Krankheitsstatus erhoben werden, hat das eine Menge mit den Interessen der Pharmaindustrie zu tun. Trotzdem geht alles "streng wissenschaftlich" zu. Aber welche Karrierechancen hätte selbst der brillanteste Wissenschaftler, wenn er sich aus Wahrheitsliebe weigern würde, das Lied seines Brötchengebers zu singen? Es gibt genügend historische Beispiele.

Dann gibt es da noch kollektive Mythen, die entscheidend mitbestimmen, was "Wahrheit" ist oder sein darf. Wie war das mit Galileo Galilei, der bezüglich seiner kopernikanischen Deutung der Himmelsmechanik, wonach nicht die Erde, sondern die Sonne unbeweglich im Mittelpunkt stehe, gegenüber der religiösen Obrigkeit abschwören musste? "Und sie bewegt sich doch" soll er trotzig gemurmelt haben. Aber vielleicht ist auch das schon ein Mythos, weil man ihn zu Zeiten der Aufklärung gern so sehen wollte? Arthur Koestler schrieb über ihn: "Er leistete keinen Beitrag zur theoretischen Astronomie; er warf keine Gewichte vom schiefen Turm zu Pisa und bewies die Richtigkeit des kopernikanischen Systems nicht. Er wurde von der Inquisition nicht gefoltert, schmachtete nicht in ihren Verliesen, sagte nicht 'und sie bewegt sich doch' und war kein Märtyrer der Wissenschaft. Hingegen war er der Begründer der modernen Wissenschaft der Dynamik ..."

Will sagen: Wahrheit ist immer "nur" die Mometaufnahme eines Prozesses und nichts, was man "endgültig" "besitzen" könnte. Die absolute Wahrheit gibt es nicht, sondern immer nur mehr oder weniger geeignete kollektive Bemühungen, sich ihr anzunähern. Und es gibt auch kollektive Bemühungen, diesen Prozess zu stören, um an lieb gewonnenen und bequemen "Gewissheiten" festhalten zu können. Und weil eben Wahrheit, wenn sie allgemein zugänglich ist, immer auch ein Feind von Macht ist.

Inzwischen ist Wikipedia - ja letztlich überhaupt das ganze Internet - ein Teil dieses Prozesses. Noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte stand dieser Prozess damit auf einer so breiten Basis. Das Netz kann zumindest potenziell Menschen aller Schichten und Kulturen gleichberechtigt (!) zusammen bringen und ermöglicht es, gemeinsam Werte zu schaffen. Klassische Beispiele und Erfolgs-Stories sind Linux - oder eben Wikipedia. Solche Möglichkeiten hat es in diesem Ausmaß nie zuvor gegeben. Klar, dass das den Eitlen und Mächtigen suspekt ist und an allen Ecken und Enden versucht wird, die fröhliche Anarchie zu kontrollieren. Klar auch, dass die "dunklen" Seiten des Menschen auch im Netz nicht außen vor bleiben. Es wird wohl ein dauerndes Kräftemessen in einem unendlichen Prozess bleiben - wie halt im richtigen Leben seit jeher auch. Es gibt keine abolute Sicherheit und Gewissheit!

Und wie im richtigen Leben auch, wird damit derjenige am besten zurecht kommen, für den ständige Neugier, ständiges Fragen-Können wichtiger als Gewissheiten sind. Der die sokratische Weisheit "ich weiß, dass ich nichts weiß" verinnerlicht hat. Der seinen jeweiligen Wissensstand - wie auch jede Information, aus welcher Enzyklopädie auch immer - als vorläufig begreift und nie aufhört weiter zu fragen. Der dem Bedürfnis nach Vereinfachung komplizierter Sachverhalte widersteht. Wer absolute, aber dafür einfache (Stammtisch-) Wahrheiten braucht, muss Bild-Zeitung lesen. Nur der dumme, ungebildete Mensch hat auf alles eine Antwort. Der kluge Mensch stellt lieber Fragen - und weiß mit dieser Haltung u.a. auch aus Wikipedia seinen Nutzen zu ziehen.

Dieser Philosophie wird die kollektive Dynamik von Wikipedia im gewissen Sinn sogar eher gerecht als eine Enzklopädie mit einer zentralen Redaktion, welche allein dadurch schon eine gewisse Absolutheit und Endgültigkeit ihrer Informationen suggeriert, die zu beanspruchen an sich schon wahrheitsfeindlich ist. Klassiche Enzyklopädien haben nicht das Problem des Vandalismus. Aber sie haben auch nicht den Vorteil einer so breiten kollektiven Kontrolle - eben auch und gerade "von unten" - wie Wikipedia. Für mich jedenfalls ist das ein Vorteil, der Detailfehler aufwiegt, und eine ganz große kulturelle Errungenschaft.

Grüße,

Manfred