Moment mal -- Bill Gates ist noch nicht tot!!!
Über Tote soll man ja nichts Schlechtes sagen, aber hier?
Die ungewohnt milden und anerkennenden Töne hier klingen wie ein Nachruf, als sei tatsächlich jemand gestorben. Höre ich da auch Trauer und Abschiedsschmerz raus?
Immerhin wird der Szene nun ihr prominentestes, verlässlichstes und vertrautestes Feindbild abhanden kommen. Fürwahr, ein herber Verlust. Auf wen soll man künftig böse sein? Klar, auf den neuen Internet-Imperialisten Google natürlich - aber dort ist es schlauerweise "nur" ein scheuer Konzern und kulminiert nicht annähernd so in einer einzigen Symbolfigur, wie das bei Bill Gates der Fall ist.
Im Ernst: Keinen der bisher hier genannten "Verdienste" von Bill Gates - beziehungsweise von dem Konzern, für den er steht - kann ich wirklich als solchen wahrnehmen.
Als Beispiel ein kleiner Exkurs: der "PC für jedermann" ist mitnichten Microsoft zu verdanken - denen am allerwenigsten. Wenn überhaupt, dann kann man diese Lorbeeren nur IBM zuschreiben. Aber auch das stimmt nicht wirklich, denn PCs gab es auch vorher schon, es bedurfte dazu keines Erfindergeistes, sondern war "nur" die logische Konsequenz der technischen Entwicklung. Es lag in der Luft, seit es Microprozessoren gab. IBMs "Verdienst" 1981 war es lediglich, Kräfte und Entwicklungen durch Schaffung eines offenen "de-facto-"Industriestandards" vereinheitlicht und damit auch die Entwicklung überall lauffähiger Software beflügelt zu haben. Dieser Standard entstand übrigens nicht, weil IBMs Technik besonders überzeugend gewesen wäre, im Gegenteil: sie war viel schlechter als fast alles, was es zu jener Zeit bereits gab. Aber es war eben von IBM. Zum Standard wurde es allein aus psychologischen Gründen, nämlich weil IBM damals noch die Autorität in der EDV war, und alle Welt sich danach ausrichtete, was IBM machte.
Das betraf auch die Wahl eines Betriebssystems. Den "PC für jedermann" hätte es genauso ohne Microsoft gegeben, etwa wenn IBM sich damals für das bereits populäre CP/M von Digital Research oder eine Eigenentwicklung entschieden hätte. (Dass sie letzteres besser und geradliniger als M$ gekonnt hätten, haben sie später mit OS/2 bewiesen.) Aber als IBM wegen CP/M bei DR-Chef Gary Kildall anklopfte, blitzten sie dort ab. Um die Gründe ranken sich bis heute viele Gerüchte, man darf aber annehmen, dass Kildall diesen Verlauf später bitter bereut hat, denn damit begann der Abstieg von Digital Research in die Bedeutungslosigkeit. Da für eine Eigenentwicklung keine Zeit mehr blieb, musste IBM notgedrungen zu "Plan B" greifen, und der hieß Microsoft. Dass es nur die "zweite Wahl" war, wird oft vergessen. Manche sagen allerdings vielleicht auch, man merkt es bis heute... ;-)
Zurück zum Thema, ich sage es mal absichtlich überspitzt: Wenn jemand so etwas wie die Weltherrschaft anstrebt, dafür sinnbildlich über Leichen geht, und mit brutalsten "Heuschrecken-Methoden" auf Kosten anderer reich wird, fällt es mir schwer, von "Verdiensten" zu reden. Wo waren die Ideen, die die heutige Marktposition von M$ rechtfertigen? M$ war seit seinem legendären BASIC-Interpreter aus Garagenzeiten kaum noch innovativ. Im Gegenteil: sie haben einen Zug nach dem anderen verpennt und hechelten der Entwicklung ewig hinterher, um sich dann im letzten Moment bei der Konkurrenz zu bedienen. Und das nicht immer legal. Die vielgelobten "Visionen" gab es nicht, das waren fast immer geklaute oder bestenfalls gekaufte Ideen von anderen. Microsofts "Patentkeule" ist berüchtigt, wohingegen ihr Respekt gegenüber fremden Patenten oft genug zu wünschen übrig ließ. Die Arbeitsverhältnisse bei M$ sollen ausbeuterisch sein; hauptsächlich werden dort - afaik - billige Studenten nach dem hire-and-fire-Prinzip "verschlissen".
Salopp gefragt: ist es ein Verdienst, kreativer "kriminell" gewesen zu sein als die Konkurrenz? Der Weg ist mit Leichen (sprich: behinderten, geschädigten oder gar ruinierten Konkurrenten) gepflastert. Brutale Rücksichtslosigkeit - vor allem dafür steht Bill Gates. Wird das weniger schimm, wenn er sich - nachdem er uneinholbar und mehrfach ausgesorgt hat - demonstrativ und großzügig caritativ engagiert, um halbwegs ansehnlich in die Geschichte einzugehen?
Erfolg kommt leider oft auf "unredlichem" Wege zu Stande und hat herzlich wenig mit echten Verdiensten zu tun. Da steht Microsoft keineswegs allein. Aber selten ist es so krass und offenkundig wie dort.
Wofür also Bill Gates loben, solange die Zeit scheinheiliger Lobeshymnen an seinem Grabe noch nicht gekommen ist?
Gruß, Manfred