P2P-Tauschenbörsen wie Bittorrent und Edonkey können relativ leicht überwacht werden. Es ist extrem riskant damit illegale, beispielsweise urheberrechtlich geschützte, Daten zu transportieren.
Als ein Geheimtipp wird seit einiger Zeit das System Retroshare gehandelt. Es wurde auch von bekannten IT-Fachpresse-Vertretern empfohlen. Die Besonderheit bei Retroshare: es ist angeblich ein sogenanntes "Darknet", ein System, bei dem Daten anonym verschlüsselt getauscht werden können, Teilnehmer nicht ermittelbar sind. Drum wurde Retroshare auch in der Szene als "gefahrloses Filesharing" gelobt.
Bis jetzt. Das Landgericht Hamburg hat nun einen Retroshare-Teilnehmer verurteilt, eine einstweilige Verfügung erlassen. Der Angeklagte muss die Kosten des Verfahrens tragen (Streitwert 10.000 Euro). Details zur Sache und auch der Beschluss des Landgericht Hamburgs finden sich im Bericht der Kanzlei Rasch, die Vertreter des Klägers war.
Wie in solchen Fällen heute üblich haben diverse Anwälte (zwecks Eigenwerbung) über den Vorfall geblogt und ihn kommentiert. Vertiefende Informationen und Erläuterungen finden sich beispielsweise bei Rechtsanwalt Sebastian Dosch und Rechtsanwalt Thomas Stadler.
Der Vorfall wirft verdammt viele Fragen auf - und das Urteil kann gewichtige Konsequenzen haben. Erstmal gilt festzustellen, dass die Geschichte seit einem Tag bekannt ist, eine Google-News-Suche nach dem Begriff "Retroshare" aber nur lächerliche vier Fundergebnisse liefert.
Eigentlich stürzt sich die IT-News-Presse wie verrückt auf solche Geschichten und die "normale Presse" kriegt das dann ganz schnell mit und schreibt auch drüber. Im Fall "Retroshare" passiert das nicht. Selbst die auf exakt solche Fälle spezialisierte Szene-News schweigt.
Der Grund ist vermutlich der, dass jetzt an Ausreden gefeilt werden muss - denn sehr viele (fast alle?) haben lobend über Retroshare berichtet und ihre Leser damit "ans Messer" geliefert.
Nein - ich will hier keine Vorwürfe an die Kollegen machen! Es hätte auch mir passieren können! Ich habe halt schlicht und ergreifend (glücklicherweise) nicht über Retroshare berichtet.
Denn: cool ist dieses System auf alle Fälle. Es ist durchaus anonymer als andere Lösungen und es dient nicht nur zum Dateitauschen, sondern auch als Messenger. Die große Frage ist ganz einfach: wie gelang es den Retroshare-Teilnehmer zu verurteilen, ihn zu schnappen?
Generell ist es so, dass man sich bei Retroshare nur mit Personen verbindet, die man wirklich kennt, denen man vertraut. Man ist (soweit ich das auf die schnelle kapiert habe) nur mit seinen verifizierten Freunden direkt verbunden.
Aber: diese Freundeskette geht natürlich weiter und jeder im Netzwerk transportiert verschlüsselte Datenpakete für irgendwelche anderen weiter, schleust sie durch. Anders kann ein P2P-Netzwerk nicht funktionieren. Man ist bei Retroshare also nur vordergründig mit den bekannten Freunden verbunden, tatsächlich aber mit dem kompletten Netz.
Da alle Dateien verschlüsselt transportiert werden hat eigentlich niemand eine Chance zu wissen, welche Daten er für andere (unbekannte) weitertransportiert. Damit ist das System also eigentlich anonym.
Wie der jetzige Gerichtsvorfall zeigt, ist es das aber nicht. Ein Kommentator im Blog von Sebastian Dosch hat eine grausam simple Theorie, was bei Retroshare schief laufen kann. Er nimmt an, dass zwei Vertreter eines Abmahnungs-Interessierten Rechteinhabers selbst einfach Dateien miteinander tauschen. Nur diese beiden wissen, welche Dateien getauscht werden, was in den verschlüsselten Paketen steckt. Und sie können wohl ermitteln, welche anderen Personen (IP-Adressen) diese verschlüsselten Pakete für sie (wenn auch unwissend) transportiert haben.
So ein Unwissender weiß selbst also nicht was er verschlüsselt transportiert, hat die "Datei" selbst nie besessen. Trotzdem greift hier das Stichwort "Störerhaftung". Und exakt so war es auch beim Urteil des Landgerichts Hamburg.
Der Angeklagte wurde nicht belangt weil er selbst etwas zum Download angeboten, sondern weil er es weitertransportiert hat. Beziehungsweise weil er wissentlich eine Software verwendet hat, bei der auch rechtswidrige Dateien über seinen Anschluss unkontrollierbar öffentlich zugänglich gemacht werden können.
Eine Sache über die ich noch gestolpert bin, ist eine Passage im Gerichtsbeschluss, dem PDF-Download der Kanzlei Rasch:
Belangt wurde der Angeklagte wohl, weil er eine Tonaufnahme eines Künstlers transportiert hat. Welche Tonaufnahme und welcher Künstler ist "ausradiert".
Im Fall von "die Tonaufnahme" gehe ich mal davon aus, dass es sich um EIN Musikstück handelt. Der Streitwert ist mit 10.000 Euro recht gering angesetzt. Aber: seit 2008 ist es eigentlich gesetzlich so geregelt, dass Erstvorfalls-Abmahnungen nur maximal 100 Euro kosten dürfen.
Ich gehe davon aus, dass der Angeklagte in dieser Sache ordentlich mehr blechen musste. Dass diese 100 Euro Regelung oft nicht greift, wurde jüngst auch von der Verbraucherzentrale kritisiert.
Aktuell bleibt leider nur eine Weisheit: das als anonym empfohlene Retroshare ist nicht anonym.