Du hast den Chemiker vergessen:
Rotkäppchen von einem Chemiker erzählt
Für das aus der Reaktion eines unbekannten Chemikers mit seinem weiblichen Reaktionspartner,
der im folgenden kurz mit dem Trivialnamen Mutter bezeichnet wird, hervorgegangene Produkt hat
sich in der internationalen Nomenklatur der Name \'Rotkäppchen\' allmählich durchgesetzt, das das
seinen Kopf bedeckende Kunstfasergewebe mit dem roten Phenazinfarbstoff Safranin gefärbt war.
Aus einer Veröffentlichung in Carnevalistica Chimica Acta 11,11 entnahm die Mutter, daß der w
eibliche Reaktionspartner der Reaktion, bei der sie ihrerseits gebildet worden war - im folgenden
mit Großmutter bezeichnet - einem Angriff von Stoffwechselprodukten von Bakterien ausgesetzt war.
Die Großmutter reagierte exotherm, was an einer negativen Reaktionswärme zu erkennen war, die von
ihrer Oberfläche an die sie umgebende Gasphase abgegeben wurde. Zur Erhöhung ihrer Aktivierungsenergie
hatte sich die Großmutter auf einem sonst zu Reacrationszwecken des menschlichen Körpers dienenden Gestell
ausgebreitet. Die Mutter entnahm ihrer Chemikaliensammlung einige Flaschen mit Reagenzien, die geeignet waren,
die schädlichen bakteriellen Stoffwechselprodukte nebst ihren Präparatoren aus der Großmutterlauge auszufällen.
Die Reagenzien verpackte sie bruchsicher in einem mit Holzwolle ausgekleidetem Traggestell und beauftragte
Rotkäppchen, dieses zur Großmutter zu befördern, es ermahnend, nicht das durch silikatische Gesteinsstücke
befestigte Wegesystem zu verlassen.
Durch Anthocyaninfarbstoffe enthaltende Blütenblätter ließ es sich doch in die
Cellulose-Lignin-Chlorophylll-Vorräte links und rechts der Wege locken. Dort begegnete es einem
entlaufenen Versuchstier des physiologisch-chemischen Institutes namens Wolf. Dieses prüfte eingehend
die Reagenzien und erkundigte sich nach ihrem Verwendungszweck. Der Wolf, der nach einer Substanz suchte,
um in seiner Verdauungsapparatur einen neuen Ansatz fahren zu können, kam auf den Gedanken, dazu
Großmutterfleisch als geeignetes Substrat zu verwenden. Er legte rasch den Weg zur Großmutter zurück.
Da das Tier annahm, daß Großmutterfleisch leicht oxydierbar sei, legte es auf schnelles Arbeiten wert
und verwendete nicht wie bei früheren Reaktionsansätzen die von ihm entwickelte Fleischzerkleinerungsapparatur,
die nach ihrem Erfinder auch Fleischwolf genannt wird, sondern zwängte die Großmutter in einem Stück in seinen
Weithalskolben. Da sich der angreifenden Säure jetzt nur eine geringe Oberfläche bot, war die
Reaktionsgeschwindigkeit natürlich sehr niedrig, und der Wolf legte sich auf ein von vier Stativen gehaltenes
Liegegestell. Um Wärmeverluste an die Umgebung zu vermeiden, isolierte er sich mit Kleidung und Federbett der Großmutter.
Das Rotkäppchen, das bald eintraf, identifizierte den Wolf infolge zu oberflächlicher Analysemethoden als
Großmutter. Es begann vorsichtig, den aliquoten Teil einer mitgeführten Reagenzlösung in den vermeintlichen
Großmutterhals einzupipettieren. Der Wolf, der wegen der Reaktionshemmung in seinem Magen dringend einen
Katalysator benötigte, glaubte diesen unter den Reagenzien zu erkennen und füllte sie alle in sich hinein,
einschließlich Rotkäppchen und der ganzen Flasche Barbitursäurederivat, das der Großmutter eigentlich als
Schlafmittel hätte dienen sollen.
Zur Erklärung dieses experimentellen Fehlers sei bemerkt, daß er mit sauberem präparativen Arbeiten nicht
vertraut war. Die danach zu erwartende Wirkung trat schnell ein. Der aufsichtsführende Chemiker, der vom
Institut über das Entlaufen des Versuchstiers informiert worden war, fand den Wolf in diesem Zustand vor.
Durch starkes Stoßen in der Bauchapparatur wurde er auf eine vorschriftswidrige Beschickung aufmerksam.
Er öffnete die Apparatur und konnte Großmutter und Rotkäppchen ziemlich intakt entnehmen.
Sie waren kaum angeätzt. Den Wolf, dessen Außenwände durch das starke Stoßen schon Sprünge aufwiesen,
zertrümmerte er vollständig und warf ihn auf den Abfallplatz. Die beiden isolierten Substanzen wurden
durch die plötzliche Lichteinstrahlung in einen angeregten Zustand versetzt. Die überschüssige Energie
wurde in Form von Translations-, Rotations- und Oszillationsbewegungen abgegeben. Der Vorfall wurde in
einer Zuschrift an die Herausgeber von Grimms Annalen der Chemie veröffentlicht.
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Herzlichen Glückwunsch! Bis zum letzten Satz stilecht und gut durchdacht. Ist das aus deiner eigenen Retorte gekommen?
(Labordiener und Chemikus in spe)
Yogi