Es war lange Zeit so, daß deutsche Popmusik entweder erschreckend unpolitisch und sinnentleert, oder schicki-micki linksliberal war. In letzter Zeit häufen sich aber die Klagen vieler (gerade Antifa-Organisationen), für geradezu neurotisch Faschistenhystrie bekannte Gruppen über neofaschistisch angehauchten deutschen Pop, gerade aus der Düsterszene oder dem Osten.
Bands wie Rammstein, Wolfsheim, Mia, Joachim Witt oder diverse Düster-Schwermetaller werden die Texte teilweise sehr kritisch seziert und entsprechend interpretiert. Nimmt man den Fall MIa (eigentlich eine ehemailge Punkband) so reicht die Erwähnung eines "Neuen Deutschland" schon aus um in der rechten Ecke zu landen. Ist das nun begründet da deutscher Pop durch Neofaschisten unterwandert wird, oder ist es eine begründete Überreaktion um den Anfängen zu wehren, oder ist es eine diffamierung und Tabuisierung eines neuen, deutschend Selbstverständnis oder ist es schlicht und ergreifend an den Haaren herbei gezogen?
Daß eine Band wie Rammstein mit martialischen Shows, Texten und Auftreten ganz offensichtlich mit faschistoiden Symbolen kokettieren ist schwer zu bestreiten, aber ist alles was rechts aussieht auch rechts? Es gibt vieles, was durch Faschisten an Symbolik, Kunst und Allgemeinplätzen "annektiert" wurde und somit einem Allgemeinverdacht anheim fiel, man nehme Nietzsche, Wagner (ja er war rechts nach heutigen Verständnis, nach damaligem Verständnis war er aber Durchschnitt), oder nehme man Runen, keltische Symbole (oder gar indische wie das Sonnenrad, aka Swastika) oder nordische Sagen und Mythen. Ist es nun faschistoid diese Symbole wieder zu nutzen, darf man jemandem unterstellen sich mit rechtem Gedankengut zu solidarisieren, weil er dies tut?
Wie seht ihr den unverkrampfteren Umgang mit solcher Symbolik, mit neuem Selbstverständnis der Geschichte (damit meine ich nicht die Geschichte zwischen 33 und 45) und mit neuer Selbstsicht und Selbstbewußtsein deutscher Künstler?
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Hallo xaffort!
Jetzt wird die Diskusion interessant, nun ist Pfeffer drin (Danke)! Ich hoffe auch es wird nicht völlig humorlos. (Um Bezug zu nehmen, schicke ich jeweils meiner Argumentatition zitierte Worte aus Deinen Absätzen voran.)
Eins muss ich noch voranstellen, weil sich viele Irrtümer in Deiner Argumentatition darauf beziehen.
Ich hatte ja - an anderer Stelle in diesem Thread - geschrieben, dass die Nazis ein Bündel anderer problematischer Richtungen in sich vereinigt haben. Und das man das genauer bei Bloch:" Erbschaft dieser Zeit" nachlesen kann, wenn's einen interessiert. Leo Trotzki hat es in seinem wunderbaren Artikel "Nationalsozialismus" auf einen Punkt verdichtet: "All das, was bei ungehinderter Entwicklung der Gesellschaft vom nationalen Organismus als Kulturexkrement ausgeschieden werden mußte, kommt jetzt durch den Schlund hoch; die kapitalistische Zivilisation erbricht die unverdaute Barbarei. "
Quelle: www.glasnost.de/klassiker/trotzki1.html
Du hast gar nicht so unrecht, dass ich so ziemlich alles kritisiere an unserer Kultur, wenn sie nicht überwiegend so verrottet wäre, wäre es nie zum Faschismus gekommen.
Ich sehe in der Tat einen Zusammenhang, Esoterik (Wunsch, Willen und Machtwillen, Voodoo gegen die widerspenstige Realität einsetzen), Satanismus, Faschismus, Sadismus. Dass z.B. die Sado-Maso-Szene nicht gern das Etikett Faschismus haben will, ist verständlich - die Faschisten würden sie wohl ins KZ schicken - aber gerade diese Leute selber wissen, dass das Eis sehr dünn ist und sie sich gegen perverse Mörder, Faschisten und Kriminelle sorgsamst abschirmen müssen, das ihre Szene mehr oder weniger insgeheim einen enormen Reiz auf "diese Kundschaft" ausübt. Der Reiz wird über Ästhetik vermittelt.
Beispiel Kenneth Anger
http://www.ofdb.de/view.php?page=liste&Name=Kenneth+Anger
Eine echte geschlossene Ursachentheorie habe ich noch nicht so richtig. Aber Korrelationen sind auch eine Aussage und es ist schon erstaunlich in welchem Umfang man bei der Recherche zu Satanismus oder Esoterik auf Seiten stößt die den neuen oder alten Rechtsradikalismus behandeln, kritisch oder bejubelnd. Korrelation heißt, es ist ein Zusammenhang da, aber man hat noch nicht eine inhaltliche Theorie, Inhalte wären anders zu generieren.
So, nun zu Deinem Absätzen, Du schreibst:
"Das Problem ist, der Faschismus wurde nicht richtig aufgearbeitet..."
In dem Absatz meinst Du der Faschismus sei sehr ausführlich untersucht worden.
Ich habe gerade darauf hingewiesen, dass die Untersuchung tabuisiert war. Und die Zusammenhänge im hier und jetzt werden noch nicht wahrgenommen (z.B. Unitarier bei der SPD).
"...Berufdenunzianten Goethe..."
Kann ich schlecht belegen. Unsere Lehrer in meiner Schulzeit haben das ausführlich berichtet. Neulich las ich irgendwo, die neuere Biografieforschung hat zu Tage gefördert Goethe hätte regelmäßig bis zu seinem Tode Briefe an die Obrigkeit geschrieben in denen er seine Künstlerkollegen poltitisch charakterisiert...also so richtig wie mit einem Stasi-Auftrag vergleichbar. Wenn man soviel Druck und Verfolgung wie ich mitbekommen hat, hat man einen intuitiven Ekel vor solchen Chraktären, man merkt irgendwas.
"Ist Esoterik mittlerweile faschistoid?"
Exakt! Sie ist die Basis des Faschismus. Faschismus ist u.a. eine spezielle Ausprägung einer Esoterik ohne "Fallschirm".
"Zurück zur neueren Popmusik"
Man muss sich schon mit Psychoanalyse sehr gut auskennen, um sich da einigermaßen orientieren zu können. Das Unbewußte in seiner unterschiedlichen Regressionstiefe entspricht verschiedenen Phasen der Kindheitsentwicklung. Das Denken ist an den Spracherwerb geknüpft und ohne Denken gibt es auch kein Gewissen. Sofern also in der Kunst (als mittelbarem Kontakt zum Unbewußten) auch die frühen Phasen der Entwicklung angesprochen werden, befindet sich Kunst in der oral-sadistischen oder anal-sadistischen Phase (Melanie Klein: Psychologie des Kleinkindes). Deshalb gibt es eine sehr weit gehende Freiheit der Kunst, man denke etwa an die Fassbinder-Inszenierung: Der Jud und die Stadt. Der wesentliche Punkt ist, dass man erschrecken soll, schlechtes Gewissen ist angemessen. Mal den Kontakt zum Verborgenen suchen ist was anderes als den Durchbruch - auch des antisozialen Primärprozesses - zu bejubeln. Da es sich wesentlich um den vorsprachlichen Bereich handelt, ist die Bedeutung der entsprechenden Ästhetik und Symbolik hoch anzusiedeln.
"Als sadistische Orgie aufgefasst"
Da meine ich das Nationasozialistische Regime, durch bestimmte Szenen mythisch wahrgenommen.
Die alten Ideologien anderer Ländern?...Nun es ist die Frage wie sie uminterpretiert werden und ob sie auch in einen Faschismus münden. Bleibt genug rationaler und moralischer Kern? Auch die Frage der Ich-Schwäche spielt rein.
"In der ästhetischen Inszinierung..."
Ja der Satz hat einen Sinn. Er beschreibt die Befreiende Wirkung der Regression. Bei der Homosexualität ist in dem Zusammenhang von gay (= fröhlich) die Rede. Merke, eine Regression wird manische Fröhlichkeit auslösen, absolut zwingend und regelmäßig. Auch die Wirkung von Alkohol kann nochmals durch den Regressionprozess erheblich gesteigert werden...bei Leuten die keinen Alkohol gewohnt sind. Auch wer neu ans Kiffen gerät ist ausgesprochen albern, wenn die Gruppendynamik ein wenig unterstützt. Mit der Zeit lässt das nach.
"Unverkrampfter Umgang"
Dieser Absatz bezieht sich auf die Frage, was notwendig ist, um sich normal bewegen zu können. Wir müssen uns so verhalten, dass uns verziehen wird. Es gibt keinen Grund die alten Fehler zu wiederholen, auch nicht das "Auftreten" im Vorfeld. Die Anforderung an die Mäßigung 2-3 Generationen nach dem Mord, ist gar nicht so hoch. Aber so verlogenen Ramsteinkram und Ähnliches sollten wir uns verkneifen.
"Die einzige Tat, die ich mir vorstellen kann, die ein jüdischer Thoraschüler meinen könnte welche man den Juden verzeihen sollte wäre der Tod Jesus Christus." Das ist klassischer Antisemitismus wie er sich z.B. bei Luther findet. Historisch gesehen haben Juden einen Juden umgebracht und die römische Besatzung spielte auch eine Rolle. Uns und die Christen gab es da noch gar nicht. Da stellst Du den Zeitverlauf auf den Kopf, das ist unlogisches mythisches Denken.
Deine Bemerkungen zu Tobias Jeacker
Nun, das kann jeder nachlesen und sich sein Bild machen. Ich bin ja schon froh, wenn Leute hin und wieder mal nachlesen und erwarte nicht unbedingt, dass sie sofort meine Meinung teilen...oh wäre das langweilig!
"wilden Wortaneinanderreihungen"
Das ist natürlich eine Frage der Leseleistung, nicht wahr? - Denen die nicht verstehen, sage ich meine Texte haben eigentlich einen leicht verständlichen Sinn, was das Verständnis erschwert ist, dass sie einem mächtig im Magen querliegen, wenn man sich nicht zufällig selber in die Richtung vorgetastet hat, fühlt man sich vermutlich angemacht.
Du beziehst Dich in Deinem letzten Absatz auf das, was Trotzki (allzu pauschal) "Kulturexkrement" genannt hat, da war seine Kenntnis der Psychoanalyse doch etwas oberfächlich. Die Entwicklung der Psychoanalyse der frühen Phasen ist aber auch erst nach dem 2. Weltkrieg so richtig in Gang gekommen, wie sollte er es besser wissen angesichts der des scheußlichen Bildes, dass die Nazis abgaben? Wichtig ist, was ich ganz oben geschrieben habe, eine gewisse Distanz und ein Erschrecken, die Faszination mag man zuweilen zulassen...solange nicht Massenmanipulation Richtung Verbrechen eingeleitet wird. Da finde ich die Mogelei die Ramstein begangen hat, schon schlimm, ein Nazivideo drehen und dann alles rausschneiden (Hakenkreuze usw.). Wie eine Jeanshose, der man die 501-Etiketten entfernt und sagt, es sei keine Jeans.