Bevor ich überhaupt Vater wurde, stand ich (etwas überspitzt ausgedrückt) vor der Entscheidung:
mache ich mir ein Bild davon, wie ein Kind sein soll und versuche, es danach zu formen
oder helfe ich meinen Kindern dabei, ihr So-Sein im vollen Umfang zu entfalten - egal, was Moral, gesellschaftliche Konventionen, Religion, usw. davon halten.
Anders und verkürzt ausgedrückt: hineinstopfen oder kommen lassen.
Das Gute am Kommen-Lassen ist, dass es vom Ansatz her absolut auf die Individualität des Kindes zugeschnitten ist.
Sie ist weder geschlechtsspezifisch (und damit auch nicht "über einen Kamm scherend") noch geschlechtsunspezifisch.
Sie heißt vom Ansatz her den GESAMTEN Menschen willkommen, was keine an Moral, Religion oder Kultur ausgerichtete Vorstellung schafft.
Gleichwohl wußte ich letztlich nicht, ob das nicht auch schlimme Nachteile haben könnte.
Ich fragte mich, was ich denn tun solle, wenn mein Kind z.B. Spaß daran finden sollte, andere Kinder zu ärgern. Oder z.B. aufgrund eines sehr stark ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühls zu destruktiven Reaktionen neigt.
Und mir war auch klar, dass eine rein antiautoritäre Vorgehensweise letztlich autoritäre Menschen hervorbringt.
Das auch noch einfach willkommen zu heißen - das kann es ja schließlich nun auch nicht sein.
Am wichtigsten schien es mir aber zu sein, dafür zu sorgen, dass mein Kind erst gar keinen Grund hat, seelisch mit seinem Leben unzufrieden zu sein (womöglich deshalb erst Aggressionen bekommt, die sich woanders oder zu Hause in Quengeligkeit, Hauen oder sonstwie äußern).
Und ich hatte natürlich deshalb auch die Hoffnung, dass Aggressionen, andere aus Spaß zu ärgern, usw. erst gar kein Thema sein würden.
Außerdem hatte ich mir vorgenommen, auf solche Ereignisse quasi "sofort" zu reagieren (damit nichts einschleifen kann) und den Zugang zu seinem innersten Wesenskern zu suchen (das, was ich weiter oben als "innere Instanz" bezeichnet habe).
Und ich wollte meinen Kindern dabei behilflich sein, z.B. ihrem Gerechtigkeitsgefühl konstruktiv Ausdruck zu verleihen.
Dass das so toll geklappt hat - davon bin ich selber überrascht.
Ich hätte viel mehr erzieherische Baustellen erwartet - die einzige, die mir spontan einfällt, ist "Kritikfähigkeit".
Natürlich gibt es die unter den Kindern (leider) so oft übliche gegenseitige Beschimpfung (Hurensohn & Co).
Oder er verlegt sich gerne schon mal aufs "Diskutieren", wenn es um Wünsche geht, die er gerne erfüllt hätte.
Aggressionen anderen gegenüber waren aber genauso wenig ein Thema, wie destruktive Verhaltensweisen, wenn er in der Sache Recht oder Unrecht hatte.
Stattdessen kam vor einem Jahr auf die Idee, einer Hilfsorganisation jeden Monat Geld für Kinder zu spenden, denen es nicht so gut wie ihm geht - obwohl weder ich noch meine Frau bis dahin selber spendeten und das auch nie zum Thema gemacht hatten.
Es kam einfach aus ihm selber, und er gibt mir jeden Monat Geld, weil der Beitrag von meinem Konto abgebucht wird.
Mit Menschen, bei denen schon zu lange einiges falsch gelaufen ist, geht das leider kaum.
Da kann man oft nur noch reparieren und es ist ein Knochenjob.
Gruß
Shrek3