Was hier gerade abgeht, ist aus meiner Sicht Jammern auf ganz, ganz hohem Niveau.
Meine Einstellung zu Hartz4 und der sogenannten Armut in unserem Lande ist nämlich völlig anders, was vermutlich daran liegt, dass ich wirkliche (materielle) Armut im Rest der Welt kennengelernt habe.
In Teilen von Mexiko, Nordafrika und Asien kann man das sehen und empfinden, was Armut ausmacht, allerdings nicht, wenn man sich auf den bequem ausgetretenen Touristenpfaden bewegt.
Dem Begriff „ Bodensatz des Systems“ stimme ich zu, aber was für eines Systems denn?
Immerhin sorgt dieses System dafür, dass jeder satt werden kann, ein Dach über dem Kopf und innerhalb seiner 4 Wände fließendes, sauberes Wasser hat.
Ist das selbstverständlich?
Ja klar ist es das für uns - das sollte es aber nicht, wenn man mal darüber nachdenkt, denn Wasser ist weltweit ein ziemlich wertvolles Gut.
In unserem System bekommen wir das alles zwar vom Staat, also vom Steuerzahler, aber es scheint nicht genug zu sein.
Da kommen Ansprüche wie Brille, Zahlspange, Fahrkarten, obwohl solche Dinge mit im Warenkorb der Sozialgeldberechnungen enthalten sind und es wird dabei vergessen, dass es andere Menschen sind, die arbeiten gehen, und denen vom Staat Geld von ihrem Verdienst abgezogen wird, damit er mich jetzt ernähren und meine Heizung bezahlen kann.
(Und bevor jetzt wieder mit Obdachlosen argumentiert wird:
Ich habe lange in der Obdachlosenhilfe der Caritas gearbeitet und mich im Rahmen dieser Tätigkeit mit sehr vielen Obdachlosen unterhalten. Alle durch die Bank wollten keine Wohnung und haben versucht, wieder in einer zu leben, konnten sich aber nicht mehr daran gewöhnen, dass es in einem Haus Regeln gibt, an die man sich zu halten hat.)
Du sagst, als jemand, der auf Hilfe vom Staat angewiesen ist, hat man in endloser Duldsamkeit die Klappe zu halten?
Wenn ich zum Amt musste, war mir bewusst, dass dort Menschen sitzen mit guten und schlechten Charaktereigenschaften. In meiner Laufbahn bin ich nur einem Sachbearbeiter begegnet, der meinte, seine vermeintliche Machtstellung ausnutzen zu müssen und mich schikanieren zu können. Anstatt mich mit diesem Menschen herumzustreiten, bin ich eine Etage höher gegangen und bekam einen anderen Sachbearbeiter zugewiesen, nachdem mein aktuelles Anliegen direkt an der höheren Stelle bearbeitet wurde.
Erdulden muss ich da gar nichts.
„Fakt ist, dass das Leben sowohl mit Hartz4 oder dem Taschengeld kein Leben ist! Es reicht vielleicht, um im Rahmen des Angebotenen irgendwie über die Runden zu kommen, aber echte gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht weder das Eine noch das Andere.“
Die Teilhabe am sogenannten gesellschaftlichen Leben dürfte wohl für jeden etwas anderes bedeuten und dass man unter Umständen schief angesehen wird, weil man z. B. bei eventuell erwarteten Geschenken nicht so mithalten kann wie ein gut verdienender Arbeitnehmer, sehe ich nicht als Problem des staatlichen Systems, sondern als ein Problem unserer Gesellschaft und der Wertevorstellung innerhalb dieser.
Kommt denn mal jemand auf die Idee, beim Gegenüber nachzufragen, weshalb er Hartz 4 bezieht?
Nein, weil das uninteressant ist. In unserer Gesellschaft spielen die Probleme der Leute in unserem engsten Umfeld keine Rolle. Es reicht, wenn man Leute mit kleinem Einkommen und Sozialhilfeempfänger ablehnend gegenübersteht.
Ich war in Nordthailand in eine kleinen Dorf, in der eine alte Dame ganz allein in ihrer Hütte lebte. Sie war ärmer als alle anderen und hatte keine Angehörigen mehr, die sie versorgen konnten. Über diese alte Frau wurde keineswegs die Nase gerümpft, sondern sie wurde täglich von allen, wirklich allen Dorfbewohnern mit Lebensmitteln und den Notwendigkeiten des täglichen Lebens versorgt und wenn man in Gemeinschaftsarbeit die Dächer reparierte, wurde auch ihr Dach ganz selbstverständlich mit geflickt.
Ähnliches ist mir in Tunesien, im Jemen und in Marokko begegnet, Gesellschaftsformen, die mit unserer nichts gemein haben.
Eins allerdings gab es dort auch, ähnlich wie bei uns: Die richtig Reichen, deren Lebensinhalte aus Oberflächlichkeiten bestehen, wollen mit den Problemen der Armen nichts zu tun haben, von ein paar wenigen mal abgesehen.
Man kann den Staat sicher für viele Dinge verantwortlich machen, aber bitte nicht für die eigene Meinungsbildung und wenn mittellose Menschen nicht an der Gesellschaft teilhaben können, liegt das wohl kaum in der Verantwortung des Staates sondern an unserer eigenen und teilweise sicher anerzogenen Einstellung.
„Das würde solchen Unsitten ebenfalls den Hahn abdrehen, mit denen die Ärmsten der Armen noch diskriminiert werden.“
Die Ärmsten der Armen leben woanders und ich wehre mich immer gegen den so lapidar verwendeten Begriff Armut.
Meine Definition von Armut ist ohnehin eine ganz andere, aber das soll hier keine Rolle spielen.
Wenn hier von Armut gesprochen wird, dreht es sich doch meistens darum, dass andere materiell besser gestellt sind als man selbst, aber ist man deshalb wirklich arm?
Ich finde nicht.
Mich selbst empfinde mich jedenfalls nicht als arm, auch wenn ich nicht mehr zu Presseball eingeladen werde oder überlegen muss, wofür ich mein Geld ausgebe.
Ich bin dankbar für dieses System (das sicher alles andere als perfekt ist, aber gibt es so eins überhaupt irgendwo?), dass mit ein sicheres Leben ermöglicht, ohne Sorge haben zu müssen, ob ich morgen noch eine Wohnung und etwas zu essen habe.
LG,
Sandra